Gut gepromptet ist halb gelöst – 5 Nutzungstipps für generative Sprachmodelle zur Bearbeitung ingenieurwissenschaftlicher Aufgaben

Obwohl ChatGPT von OpenAI, Gemini von Google oder Claude von Anthropic zunächst reine Sprachmodelle und explizit keine Wissens- oder Logikmodelle sind und per se auch nicht gut rechnen können, kann man diese doch meist recht erfolgreich zur Bearbeitung von ingenieurwissenschaftlichen Aufgabenstellungen oder zur Lösung technischer Probleme benutzen. Viel verkehrt machen kann man bei der Eingabe und Erklärung der Problemstellung eigentlich nicht, schließlich ist ein großer Vorteil der KI-Chatbots, sehr gut mit natürlicher Sprache umgehen zu können. Trotzdem gibt es einige Tipps und Tricks, die eine erfolgreiche Nutzung etwas wahrscheinlicher machen und meist auch unabhängig vom jeweiligen Sprachmodell und dessen konkreter Version funktionieren.

  1. Schrittweises Vorgehen
    Bei einer längeren Rechenaufgabe oder der Herleitung einer Formel für einen komplexeren Sachverhalt kann es helfen, den Chatbot zu bitten, schrittweise vorzugehen und die jeweiligen Einzelschritte zu begründen. Ähnlich wie es einem Menschen hilft, ein großes, komplexes Problem zunächst in mehrere einfachere Probleme zu unterteilen, scheint eine solche Vorgehensweise auch für ein Sprachmodell hilfreich.

    Weiterer Vorteil: Die Antwort wird nachvollziehbarer.

    Nachteil: Die Antwort dauert länger, ebenso wächst die Kontextlänge.
  2. Zahlenrechnung in Quelltext auslagern
    Chatbots können gut mit Sprache, Wörtern, Sätzen und Texten umgehen, aber nicht gut mit Zahlen rechnen. Als „Umweg“ sollte man das Sprachmodell bei einer Rechenaufgabe bitten, zur Lösung einen Quelltext zu erzeugen, mit dem sich die entsprechende Zahlenrechnung anhand von Formeln lösen lässt. Möglicherweise erzeugt ein Sprachmodell solche Quelltexte z.B. in der Programmiersprache Python schon von sich aus, wobei man dann durch eine entsprechende Aufforderung auch eine andere übliche und eventuell besser zum eigenen Geschmack passende Sprache auswählen kann.

    Weiterer Vorteil: Man kann den Quelltext für die gleiche Problemstellung anschließend auch schnell für andere Eingabewerte auswerten (lassen).

    Nachteil: Man sollte zumindest rudimentär die ausgegebene Programmiersprache verstehen und die Befehle grob nachvollziehen können.
  3. Probe machen
    Wie bei der eigenständigen Lösung einer Aufgabe sollte man auch bei einer ki-gestützten Lösung ein anschließende Probe machen (lassen). Um eine solche Probe kann man natürlich auch den Sprachbot selbst bitten, wobei eine gewisse Gefahr besteht, dass vorherige Fehler auch in der Proberechnung wiederholt werden und der Chatbot bei eindeutig unplausiblen Antworten anschließend sogar die Richtigkeit der Aufgabe selbst anzweifelt. Als KI-Nutzer*in ist man also gut beraten, selbst eine gewisse Plausibilitätsprüfung zu machen, wobei man folgende Fragen durchgehen kann:
    • Passt die Einheit des Ergebnisses (und der Zwischenergebnisse)? Wenn die Einheit falsch ist, ist das Ergebnis sehr sicher auch falsch.
    • Passen das Vorzeichen und die Größenordnung des Ergebnisses? Das Sprachmodell hat einen negativen Widerstand von −5 Ω, eine Flugzeuggeschwindigkeit von 3 mm/h oder eine menschlische Körpermasse von 76,5 t berechnet? All das klingt unplausibel und ist dann vermutlich auch falsch.
    • Bekommt man das gleiche Ergebnis, wenn man den Rechenweg umdreht? Einfaches Beispiel: Das Sprachmodell soll aus Spannung und Strom einen Widerstand ausrechnen und macht das auch. Nun bittet man das Sprachmodell in einem komplett neuen Prompt aus dem vorher gegebenen Strom und dem gerade berechneten Widerstand die Spannung zu bestimmen. Stimmt das Ergebnis mit dem vorher gegebenen Wert überein, werden beide Rechnungen sehr vermutlich stimmen, weil ein gleichlautenden Fehler in beiden voneinander unabhängigen Rechnungen sehr unwahrscheinlich ist. Wichtig dabei ist, wirklich einen neuen Prompt zu benutzen, so dass der vorherige Kontext verloren geht.

      Weiterer Vorteil: Man lernt über eine Probe nebenbei sehr viel über die Problem- und Aufgabenstellung.

      Nachteil: Jede Probe kostet Zeit, je intensiver umso mehr.
  4. Rolle des Sprachmodells anpassen
    Im Normalfall antwortet ein Sprachmodell auf eine Textaufgabe mit technischem oder ingenieurwissenschaftlichen Hintergrund ebenso sachlich und nüchtern. Bei sehr komplexen Fragestellungen kann es helfen, das Sprachmodell zu bitten, in die Rolle eines Wissenschaftlers zu schlüpfen, um mit einer größeren Wahrscheinlichkeit eine korrekte Antwort zu erhalten. Ebenso kann man das Sprachmodell natürlich auch bitten, das Ergebnis oder die Vorgehensweise bzw. den Lösungsweg in einfacherer Sprache zu erklären. Weiterhin kann man bei unbekannten Begriffen nachfragen und sich diese erklären lassen, wobei natürlich auch wieder fraglich ist, wie fachlich korrekt eine solche Antwort ist. Spannenderweise liefern Sprachmodelle wohl dann korrektere Antworten, wenn man diese in die Rolle einer männlichen Person oder z.B. auch eines Star-Trek-Charakters schlüpfen lässt. Ebenso gibt es Berichte, dass Sprachmodelle präziser antworten, wenn man ihnen Geld als Belohnung anbietet oder sie bittet, vor der Antwort „tief durchzuatmen“.

    Weiterer Vorteil: Es ist überraschend (und gleichzeitig auch etwas irritierend), mit welch einfachen Tricks man potentiell bessere Antworten erhalten kann.

    Nachteil: Solche Art von Prompt Engineering kann auch schnell von der eigentlichen Aufgabe ablenken.
  5. Andere Sprachmodelle und alternative Werkzeuge testen
    Die Antwort des gewählten Sprachmodells ist offensichtlich falsch oder überzeugt nicht? Es spricht nichts dagegen, mal ein anderes Sprachmodell zu testen. Auch gibt es für sehr viele übliche ingenieurwissenschaftliche Fragenstellungen etablierte Softwarewerkzeuge wie MATLAB, Octave, Scilab, LTspice, Qucs, usw. Gerade bei komplexeren Aufgabenstellungen wird man für eine effiziente und elegante Lösung nicht um das dazu passende Werkzeug herumkommen, muss aber natürlich einen gewissen Einarbeitungszeitaufwand einplanen. Nichtsdestotrotz kann dann ein Sprachmodell bei der Entwicklung von Quelltexten, der Anpassungen von Funktionen, der Fehlersuche in Programmen oder der Erstellung von einfachen Testbeispielen behilflich sein.

    Weiterer Vorteil: Man pflegt und erweitert so stetig seinen persönlichen „Software-Werkzeugkasten“ zur Lösung ingenieurwissenschaftlicher Probleme.

    Nachteil: Jede neue Einarbeitung kostet wiederum etwas Zeit.

Aller Anfang ist schwer und es ist noch kein Prompt-Meister vom Himmel gefallen. Es lohnt sich aber, stetig etwas Zeit in das Ausprobieren und Kennenlernen von Sprachmodellen zu investieren, um kontinuierlich wichtige Erfahrungen zur potentiellen Anwendung zu sammeln. Das Tempo der jetzigen Weiterentwicklung ist enorm und es ist schwer absehbar, wie sich Sprachmodelle in wenigen Jahren verhalten werden. Es ist jedoch jederzeit ein guter Zeitpunkt, selbst aktiv zu werden und die eigene KI-Anwendungskompentenz an konkreten Problemstellungen zu schulen und zu entwickeln.

Anmerkung: Dieser Artikel ist geplanter Teil eines Positionspapiers des Verbands der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik (VDE) zu künstlicher Intelligenz in der ingenieurwissenschaftlichen Ausbildung und Arbeit in der Elektrotechnik. Ich freue mich hier über Kommentare und konstruktive Rückmeldung, die dann auch in die finale Veröffentlichung mit einfließen werden.

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