Warum Hybridlehre bisher nicht (so richtig gut) funktioniert und was wir (noch) ändern müssen

Anmerkung vom 22.09.2022: Dieser Artikel wurde zur Veröffentlichung in der Zeitschrift „Perspektiven auf Lehre. Journal for Higher Education and Academic Development“ eingereicht, die vom Hochschuldidaktischen Zentrums Sachsen (HDS) herausgegeben wird. Der Artikel steht auf meinem Blog zum öffentlichen Peer Review zur Verfügung. Ich freue mich über Rückmeldungen in den Kommentaren.

Anmerkung vom 06.03.2022: Der Artikel ist nun in der Zeitschrift „Perspektiven auf Lehre. Journal for Higher Education and Academic Development“ im Themenheft „Hybride Lehre“ veröffentlicht. Über den DOI https://doi.org/10.55310/jfhead.30 kann direkt auf den Artikel zugegriffen werden.

Abstract

Hybride Lehrveranstaltungen sind synchrone Formate, an denen Lernende (und Co-Lehrende wie externe Expert:innen) gleichzeitig in Präsenz oder über eine Videokonferenz teilnehmen können. Sie bieten viele Chancen (z. B. Flexibilität, Zugänglichkeit, Barrierefreiheit), stellen aber auch die Gestaltung, die Durchführung sowie die technische Raumausstattung von und für Lehrveranstaltungen vor Herausforderungen und haben sich deshalb (noch) nicht breit in der deutschen Hochschullandschaft durchsetzen können. Im Artikel werden Ideen diskutiert, die Hybridformaten mehr Akzeptanz verschaffen können.

1. Hybridlehre heißt „gleichzeitig hier und da lernen“

Als hybride Lehre wird die gleichzeitige Teilnahmemöglichkeit an einer synchronen Lehrveranstaltung für Lernende vor Ort oder über ein Videokonferenzsystem bezeichnet (Gumm & Hobuß, 2021). Populär wurde diese Idee insbesondere nach dem „Emergency Remote Teaching“ während des ersten Corona-Sommersemesters 2020, das hauptsächlich aus reiner Online-Lehre bestand, und dem Wunsch, Studierenden zum ersten Pandemiewintersemester im Herbst 2020 wieder mehr Begegnungsmöglichkeiten in den Hochschulen zu ermöglichen. Tatsächlich ist die Idee von hybriden Veranstaltungen aber schon etwas älter und seit den frühen 2010er-Jahren dokumentiert (Beatty, 2019). Eingang in die Populärkultur fand die gleichzeitige Kommunikation mit Teilnehmenden vor Ort und in der Ferne aber schon mit dem „Visophon“ der beliebten deutschen Puppenspielserie „Hallo Spencer“, die von 1979 bis 2001 vom Norddeutschen Rundfunk produziert wurde.

Der Protagonist und Moderator Spencer konnte über den Monitor aus seinem Studio einzelne Dorfbewohner:innen oder auch alle gemeinsam als Konferenzschaltung kontaktieren und sich mit ihnen austauschen. Das funktionierte auf den berühmten Fingerschnipp hin auch mit mehreren Personen im Studio stets problemlos und wurde deshalb gern für kurze Abstimmungs- und Diskussionsrunden genutzt, ohne dass alle Dorfbewohner:innen tatsächlich vor Ort sein mussten.

2. Chancen und „Hybrid, hybrid, der neue Favorit?“

Diese Chancen können von Hochschullehrenden nicht nur in hybriden Lehrveranstaltungen sondern auch in ganzen Studiengängen und im hochschulweiten Kontext genutzt werden. Aufgrund von Kontaktbeschränkungen und nötigen Sicherheitsabständen wäh rend der Pandemie konnten Lehrräume nur teilweise belegt werden. Studierende, die sich in Quarantäne befanden oder aufgrund von Vorerkrankungen jedes Infektionsrisiko ausschließen mussten, konnten nur online an Lehrveranstaltungen teilnehmen. Gleichzei tig wünschten sich viele Lehrende die direkte Interaktion sowie das Feedback von und mit Studierenden vor Ort. Studierende wünschten sich die Möglichkeit, ihre Kommiliton:innen direkt zu treffen, intensiver kennenzulernen und sich in zufälligen und ungezwungenen Begegnungen auf dem Campus auszutauschen, was in Videokonferenzen leider nur ganz selten und mit viel Aufwand passiert. Auch aus den Hochschulleitungen und Gremien hörte man immer wieder den Wunsch nach Hybrid- und auch Präsenzformaten, auch aus Angst bei der pandemiebedingten Weiterführung der reinen Online-Lehre viele Studierende zu verlieren, weil man nun plötzlich mit viel mehr Hochschulen konkurriert, nicht nur deutschlandweit sondern auch international.

Auch abseits einer pandemischen Notlage bieten hybride Lehrformate viele Vorteile, insbesondere für interdisziplinäre Kooperationsstudiengänge mehrerer Verbundhochschulen, die gemeinsame Studiengänge anbieten. Lehrende müssen perspektivisch nicht mehr als „Flying Faculty“ von Hochschulstandort zu Hochschulstandort reisen, was Zeit und Ressourcen kostet, sondern können sich in bestehende Präsenz-Lehrveranstaltungen online dazuschalten. Ebenso können externe Expert:innen, z. B. aus der Industrie oder Zivilgesellschaft sehr einfach in Hybrid-Lehrveranstaltungen eingebunden werden, z. B. für kurze Online-Inputs oder Vorträge. Auch Studierende müssen nicht für einzelne Module die Hochschule wechseln, sondern können diese auch als Online-Teilnehmer:in absolvieren. Aus dem Standortnachteil einer Hochschule kann über das Angebot eines Hybridstudiengangs so ein Wettbewerbsvorteil werden, der neue Zielgruppen erschließen und die Studierendenzahlen erhöhen kann. Studierende können vorhandene Angebote bei hybrider Teilnahmemöglichkeit flexibler nutzen. Die Zugänglichkeit und Barrierefreiheit für heterogene Zielgruppen werden erhöht, Studierende mit Einschränkungen, eingebunden in die Betreuung von Kindern oder die Pflege von Angehörigen werden nicht mehr kategorisch ausgeschlossen. Diese gestiegene Flexibilität spiegelt sich auch im Konzept des HyFlex-Kursdesigns von Lehrveranstaltungen wieder, das über die reine Hybridlehre hinausgeht (Kellner, 2021).

3. Herausforderungen oder „Wenn es einfach wäre, würde es jede:r machen.“

Herausfordernd in der hybriden Lehre ist zunächst einmal die Technik, die es ermöglichen muss, den sogenannten Hybriditätsgraben zu überbrücken, der sich als gedachte Kommunikationshürde zwischen den Online- und Vor-Ort-Teilnehmenden befindet, siehe Abbildung 1. Vor-Ort-Teilnehmende oder „Roomies“ (Albers-Heinemann, 2022) können sich selbstverständlich gegenseitig sehen und hören. Ebenso können die Online-Teilnehmenden bzw. „Zoomies“ problemlos per Bild und Ton miteinander kommunizieren, vorausgesetzt sie haben natürlich jeweils eine Kamera und ein Mikrofon bzw. Headset. Schwierig ist die Kommunikation von Roomies mit Zoomies und umgekehrt, sowohl per Ton und Bild, siehe Abbildung 1.

Abbildung 1: Bierdeckel-Skizze zum „Hybriditätsgraben“: Die roten Pfeile sind die schwierigen Kommunikationspfade zwischen den „Roomies“ und „Zoomies“. (Muuß-Merholz, 2021)

Zunächst einmal muss man den Ton im Raum aufnehmen und in die Videokonferenz übertragen. Das funktioniert z. B. über Raummikrofone, die am einfachsten in der Nutzung sind, aber häufig keine gute Audioqualität bieten, weil neben den relevanten Stimmen auch viel Raumhall und störende Nebengeräusche wie Schritte oder Rascheln mit Papier aufgenommen werden. Besser sind Funkmikrofone, also Headset, Ansteck- oder Handmikrofone. Da die Stimme näher am Mund aufgezeichnet wird, ist die Qualität meist deutlich besser. Dafür stehen pro Empfänger typischerweise nur zwei Mikrofone zur Verfügung, so dass man diese bei Diskussionen und Fragerunden im Raum herumgeben muss. Die dafür nötige Mikrofondisziplin klingt zunächst hinderlich, hilft aber gleichzeitig Diskussionen und Gesprächsrunden besser zu strukturieren und sich nicht ständig gegenseitig ins Wort zu fallen.

Weiterhin muss man die Sprache der Zoomies in den Raum übertragen, was natürlich gut über Lautsprecher funktioniert. Da die Mikrofone im Raum auch gleichzeitig den Ton der Lautsprecher aufnehmen, braucht es eine gute Echounterdrückung, die in allen Videokonferenzsystemen nur dann gut funktioniert, wenn die Ein- und Ausgaben über den gleichen Rechner erfolgen. Alle Mikrofone und Lautsprecher im Raum müssen also zwingend an den gleichen Videokonferenz-PC angeschlossen sein. Weitere Audioausgaben im Raum sind dann nur über Kopfhörer möglich. Sollen mehrere Mikrofone an verschiedenen Rechnern im Raum aktiv sein (z. B. für hybride Kleingruppenarbeit), dann darf es keine Lautsprecher sondern auch nur Kopfhörer im Raum geben, um störende Echos und Rückkopplungen effektiv zu vermeiden.

Dann soll natürlich ein Videobild der relevanten Geschehnisse im Raum in die Videokonferenz übertragen werden. Die dafür nötigen Kameras können an einen oder mehrere Computer angeschlossen sein. Die meisten handelsüblichen Kameras liefern eine sehr gute Bildqualität, wenn die Beleuchtung stimmt (gleichmäßige Ausleuchtung in Blickrichtung der Kamera, keine großen Helligkeitsunterschiede, kein starkes Seiten- oder Gegenlicht, kein Flackern). Häufig wurden aufwendige, schwenk- und zoombare PTZ-Kameras (englisch für „pan, tilt and zoom“, also „Schwenken, Neigen und Zoomen“) installiert, welche die Lehrperson über unflexible und wenig intuitive Fernbedienungen zusätzlich mit der Bildregie belasten und z. B. manuelle Eingriffe erfordern, wenn die Kamera vom Pult auf die klassische Kreidetafel oder in das Publikum schwenken soll.

Auch die Positionierung der Kamera(s) muss wohlüberlegt sein. Eine Kamera an der Vorderseite des Raumes kann gut das Publikum filmen, zeigt die Lehrperson aber häufig nur von hinten. Der übliche Installationsort an der Rückseite des Raumes zeigt gut die Tafel und die Lehrperson, nimmt von den Studierenden aber nur die Hinterköpfe und Rücken, und – viel schlimmer – auch die Inhalte von ihren Laptopbildschirmen auf. Außerdem tendieren diskutierende Roomies immer dahin zu schauen, wo der Ton zu hören oder die Kamerabilder zu sehen sind, statt in Richtung der Kamera(s) für die Zoomies zu schauen.

Aus Gründen der Diebstahl- und Vandalismussicherheit gibt es manchmal auch Kameras mit Deckenmontage, die aber aufgrund der Vogelperspektive stets ein ungewohntes Bild des Raumes vermitteln und es der Lehrperson praktisch unmöglich machen, gleichzeitig in Richtung der Kamera und ins Publikum zu schauen. Parallel zur guten Bildqualität stellen sich Fragen nach datenschutzrechtlichen Aspekten und dem Recht am eigenen Bild der Lernenden im Raum. Die Zoomies können prinzipiell frei entscheiden, ihr Kamerabild freizugeben oder nicht. Roomies könnte man diese Wahl auch ermöglichen, indem nur bestimmte Bereiche im Raum per Kamera erfasst werden. Je nach Größe und Art der Veranstaltung, Vertrautheit der Gruppe, gleichzeitiger Aufzeichnung und anderen Aspekten kann dann flexibel über die Notwendigkeit von Kamerabildern von Roomies und Zoomies entschiedenen werden.

Außerdem sollen auch die Roomies nach Möglichkeit die Kamerabilder der Zoomies sehen. Das geht natürlich am einfachsten über einen Beamer, der hoffentlich zur Standardausstattung in jedem Lehrveranstaltungsraum gehört. Da die Kamerakacheln wertvollen Platz auf der meist begrenzten Projektionsfläche einnehmen, ist ein zweiter Beamer oder ein zweiter großer Monitor zur exklusiven Darstellung der Kamerakacheln sinnvoll. In Lehrräumen mit klassischem Frontalsetting sehen so immerhin alle teilnehmenden Roomies die Kamerabilder der Zoomies, nur die Lehrperson müsste sich dafür ständig nach hinten umdrehen. Also sind weitere große Monitore an der Rückwand des Raumes oder an den Seitenwänden nützlich, insbesondere auch dann, wenn im Raum keine frontalen Stuhlreihen, sondern Gruppenarbeitsplätze bzw. Sitzgruppen angeordnet sind.

Schlussendlich möchte man gemeinsam mit Roomies und Zoomies an konkreten Materialien arbeiten. Unproblematisch sind folienbasierte Lehrvorträge oder klassische Bildschirmfreigaben, weil diese gleichermaßen gut für Roomies wie für Zoomies sichtbar sind. Wird im Raum eine klassische Tafel oder ein analoges Whiteboard genutzt, müssen auch diese abgefilmt und digitalisiert werden. Wird im Raum mit Klebezetteln und Moderationskarten an Metaplanwänden gearbeitet, sollten auch diese entsprechend in die Videokonferenz übermittelt werden. Einfacher ist es dann meist, auf die analogen Tafeln, Whiteboards und Metaplanwände zu verzichten und direkt mit Zeichentablets auf Online-Whiteboards zu schreiben oder digitale Smartboards und Online-Pinnwände zu nutzen, die sich im Nachgang auch viel einfacher abspeichern, teilen und weiterbearbeiten lassen als ein klassischer Tafelanschrieb. Problematisch dabei ist häufig die Gewohnheit der Lehrenden an die althergebrachten Tafeln, Whiteboards und Pinnwände, die sich gegenüber den langfristig gesehen besseren digitalen Varianten zu einfach und zu spontan ohne große Vorbereitung nutzen lassen, wenn sie denn im Raum vorhanden sind. Ansonsten gibt es gerade im technischen Bereich noch häufig analoge Dinge im Raum, die man trotzdem in der Videokonferenz zeigen möchte, wie z. B. Experimente mit Schaltungen und Messgeräten, Platinen, Demonstratoren, mechanische Bauteile, etc. Hier bieten sich häufig Dokumentenkameras an, die aufgrund der besonders flexiblen Stative und Vergrößerungsobjektive vielfältige Möglichkeiten zur Darstellung kleiner und großer Objekte bieten.

Zusammenfassend zur Technik lässt sich festhalten, dass sehr viel möglich ist und für Hochschulen auch bezahlbar sein sollte, zumindest um häufig genutzte Lehrräume damit auszustatten. In Ergänzungen zu festen Raumausstattungen arbeiten einige Hochschulen und Lehrpersonen auch mit „Hybridlehre-Koffern“, um unzureichend ausgestattete Räume für spezielle Lehrveranstaltungen kurzzeitig aufzurüsten, was aber zusätzliche Zeitaufwand erfordert. Ob fest installierte oder mobile Videokonferenzanlagen – in den meisten Fällen muss die Lehrperson einen eigenen Laptop mitbringen, der von den Anschlüssen und hardwaremäßig kompatibel zur installierten Videokonferenzanlage und zum Beamer ist und auch von der Leistungsfähigkeit her ausreicht, eine Videokonferenz zu hosten. Auch wenn HDMI- und USB-Anschlüsse zur Zeit zum Quasi-Standard gehören, werden mobile Endgeräte immer kleiner/leichter und sind demnach mit weniger Anschlüssen sondern eher mit drahtlosen Schnittstellen ausgestattet, was die Kompatibilität herabsetzt oder weitere Adapter notwendig macht.

Eine weitere große Herausforderung bei hybriden Lehrformaten ist die Vorbereitung und Moderation durch die Lehrperson. Diese muss zunächst einmal die Technik sowie deren Möglichkeiten und Grenzen verstanden haben, um diese sicher und souverän einsetzen und bedienen zu können, insbesondere wenn irgendetwas mal nicht direkt auf Anhieb funktioniert. Das stellt auch die Hochschulen vor enorme Herausforderungen. Technik für die Hybridlehre anzuschaffen und Räume damit auszustatten, ist die einfache Aufgabe, weil sie fast nur finanziellen Aufwand erfordert. Lehrende für den sinnvollen und zielgerichteten Einsatz dieser Technik zu sensibilisieren und zu schulen, ist die viel schwierigere Aufgabe, weil diese nicht allein mit finanziellen Aufwendungen zu erreichen ist und stattdessen auch intensive Mitarbeit der Lehrenden erfordert. Daraus lässt sich zunächst schlussfolgern, dass die Hybridlehre-Technik möglichst einfach und intuitiv bedienbar sein sollte und weniger Technik oft mehr ist, insbesondere wenn ein aufwendiger Auf- und Umbau hinzukommt. Läuft die Technik sicher und stabil, kann man sich dann als Lehrperson voll und ganz auf die Moderation von hybriden Lehrveranstaltungen konzentrieren und sich je nach Kontext überlegen, wie man Roomies und Zoomies gleichermaßen möglichst gut aktiviert und einbindet, hybride Kleingruppenarbeit ermöglicht, entstehende Lernartefakte digital sammelt und kuratiert, Studierende zu gegenseitigem Feedback anregt usw. Da man als einzelne Lehrperson alle diese Aufgaben gleichzeitig schwer überblicken und erfüllen kann, können studentischen Co-Moderator:innen und Technik-Helfer:innen sehr nützlich sein, z. B. zum Herumgeben des Mikrofons, zur Anmoderation von Fragen aus dem Chat, zur Nachführung der Raumkamera, zum Sammeln wichtiger Zwischenergebnisse in einem kollaborativen Textdokument oder Whiteboard, etc. Studierende sollten sich für solche Aufgaben im Idealfall freiwillig melden und durch die zusätzliche
Aufgabe nicht zu sehr vom eigentlichen Inhalt der Lehrveranstaltung abgelenkt sein und auch nicht überfordert fühlen.

4. Perspektiven und wie alles (noch) besser wird

4.1 Status quo der Hybridlehre oder „Wo klemmt es noch?“

Nach einem ersten Hype und dem zögerlichen Ausprobieren von hybriden Lehrformaten im Wintersemester 2020/2021, einer gewissen Konsolidierungsphase im Sommersemester 2021 und einem zweiten großen Boom im Wintersemester 2021/2022 gab es im Sommersemester 2022 wieder eher weniger hybride Lehrveranstaltungen, siehe dazu die statistische Auswertung der Planungsdaten von Lehrveranstaltungen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und der Otto-von-Guericke-Universität (OVGU) in Magdeburg in Abbildung 2. Woran kann das liegen und warum setzt sich ein solches Format mit so vielen Chancen nicht wirklich in der Breite der akademischen Lehre durch? Natürlich sind da zunächst auch gewisse Risiken von Hybridformaten. Häufig berichteten Lehrenden, dass die Präsenzteilnahmequote bei einer gleichzeitigen Online-Teilnahmemöglichkeit im Laufe des Semesters massiv zusammenschrumpfte. Das muss aber keine Ursache-Wirkung-Beziehung mit dem hybriden Angebot haben, sondern kann auch ein Symptom anderer Faktoren wie der zeitlichen Planung der Lehrveranstaltung zu Randzeiten, einer insgesamt wenig interaktiven frontalen Vorlesung oder weiten Anfahrtswegen zum Campus sein. Außerdem stehen der technische und organisatorische Aufwand einer hybriden Lehrveranstaltung für die Lehrperson in einem häufig viel zu geringen vermuteten Nutzen für die Studierenden. Da in den meisten Fällen die Lehrenden und nicht die Studierenden darüber entscheiden, ob und wie eine Lehrveranstaltung hybrid angeboten und durchgeführt wird, und reine Präsenzveranstaltungen wieder als Normalfall angesehen werden, bleiben Hybridformate auf der Strecke. Auch wer als Lehrperson schon einmal oder mehrfach Erfahrungen mit Technikproblemen machen musste, wird sich nach dem Motto „lieber gut in Präsenz als schlecht in hybrid lehren“ eher für reine Präsenzformate entscheiden.

Die Erfahrungen der letzten Monate zeigen, dass es nur wenige engagierte und technikaffine Lehrpersonen gibt, die es problemlos schaffen, aus wenig (und im Zweifel selbst mitgebrachter) Technik und mit etwas persönlichem Aufwand mit hybriden Lehrformaten viel Nutzen für die Studierenden zu generieren. Wenn hybride Lehrformate von den Studierenden gewünscht und durch die Hochschulleitungen legitimierter Konsens sind, dann müssen Seminarräume und Hörsäle so ausgestattet sein und die Lehrveranstaltungsplanung so durchgeführt werden, dass Hybridlehre der ganz normale Standard ist, nicht die vermeintlich teure und aufwendige Option.

4.2 Vorschlag an die Medientechnik und die Lehrveranstaltungsplanung oder „Macht doch mal!“

Wird eine Lehrveranstaltung in einem Präsenzraum geplant, wird automatisch ein fester Videokonferenz-Raum erstellt, zugeordnet und angekündigt. Geht die Lehrperson in den Lehrveranstaltungsraum und startet die Medientechnik, startet automatisch auch die zugehörige Videokonferenz auf einem fest installierten PC. Spricht die Lehrperson in das Hörsaalmikrofon, ist die Stimme natürlich auch in der Videokonferenz deutlich hörbar. Für Wortmeldungen und Diskussionsbeiträge der Roomies steht selbstverständlich ein weiteres Mikrofon zur Verfügung. Töne vom PC und die Stimmen der Zoomies werden über die übliche Lautsprecheranlage mit ausgegeben. Statt eine einzelne teure PTZ-Kamera zu installieren, für die eine studentische Assistenz oder die Lehrperson die Bildregie übernehmen muss, sollten mehrere günstigere Kameras fest im Raum installiert werden, die feste Perspektiven und Blickwinkel aufnehmen.

Eine Kamera zeigt dann immer das Pult bzw. die normale Lehrpersonen-Position in Großaufnahme. Eine weitere Kamera zeigt die ganze Bühne bzw. den vorderen Teil des Raumes. Zwei weitere Kameras könnten den kompletten Raum jeweils von vorn und von hinten zeigen, eventuell mit verringerter Auflösung bzw. Schärfe, so dass man von außen zwar einen Eindruck davon bekommt, was im Raum passiert (ist der Raum leer oder voll, laufen Personen herum, etc.), aber nicht einzelne Gesichter oder Bildschirminhalte identifizieren kann. Falls eine klassische Tafel, ein Flipchart oder ein analoges Whiteboard vorhanden sind, benötigen diese ebenfalls eine zugeordnete Kamera, damit sie in der Lehrveranstaltung niederschwellig und einfach genutzt werden können. Vier bis fünf einfache Kameras mit zugehörigen Mini-PCs, die per LAN mit dem Internet verbunden werden, sind dabei auch nicht teurer in der Anschaffung als eine hochwertige PTZ-Kamera, ermöglichen aber deutlich mehr Flexibilität, denn die Lehrperson ist entlastet und muss sich nicht um deren Einstellungen wie Kameraperspektive, Zoom, etc. kümmern. Stattdessen können die Teilnehmenden selbst entscheiden, durch welches „virtuelle Auge“ sie in den Lehrveranstaltungsraum schauen, was sie sehen und was sie lieber ausblenden möchten. Auch im Sinne der Studierendenzentrierung wäre die Wahlmöglichkeit besser als das Einspeisen eines einzelnen, eventuell unpassenden Kamerabildes. Zur Anzeige von Folien, anderen Bildschirmfreigaben und den Kamerakacheln stehen mindestens zwei Beamer zur Verfügung, die zusätzlich auf Kontrollmonitore in Blickrichtung der Lehrperson gespiegelt werden, so dass diese sich nicht immer umdrehen muss.

Da der fest installierte PC mit entsprechender Standardsoftware natürlich auch Webseiten und Folien in den gängigen Formaten anzeigen kann, braucht die Lehrperson keinen eigenen Laptop mitbringen, kann dies aber gern tun, wenn sie es möchte oder auf nur dort installierte Spezialsoftware (z. B. für Simulationen) angewiesen ist. Der selbst mitgebrachte Laptop bzw. das von der Lehrperson genutzte digitale Endgerät muss als einzig relevante Schnittstelle jedoch nur einen WLAN-Zugang besitzen, über den das Gerät nahezu unabhängig vom Betriebssystem in die Videokonferenz eingewählt und die gewünschten Inhalte von dort per Bildschirmfreigabe geteilt werden. Diese Vorgehensweise ist auch für Roomies möglich, z. B. wenn studentisch erstelltes Material im Plenum diskutiert werden soll. Handelsübliche Smartphones oder Tablet-PCs, die mit in die Videokonferenz eingewählt werden, eignen sich dabei auch hervorragend als mobile, tragbare Kameras, die bezüglich Ausrichtung und Blickwinkel deutlich flexibler als eine PTZ-Kamera sind, die fest an der Decke oder Raumrückwand montiert ist.

Somit wären alle Wege offen, um Hybridlehrveranstaltungen einfach und intuitiv umzusetzen. Optional könnte die Lehrperson immer noch einzelne Kameras manuell deaktivieren, eine Kamera als Fokusbild für alle Teilnehmenden setzen oder natürlich beliebige weitere Kameras ergänzen, z. B. für Experimente oder ähnliches, solange sich die Zusatztechnik in den üblichen 15 min vor und nach der Veranstaltung auf- und abbauen lässt. Auch eine Stunden- und Raumplanung, die einer Lehrperson die aufeinanderfolgende Durchführung mehrerer Veranstaltung im gleichen Raum ermöglicht, wäre als zusätzliche Unterstützung denkbar.

5. Fazit und Forderungen zum „Quo vadis Hybridlehre“

Wenn sich hybride Lehrveranstaltungen durchsetzen sollen (z. B. auf Wunsch der Studierenden oder als Strategie der Hochschulleitung), muss deren technische Umsetzung für die Lehrperson so einfach sein, wie im Lehrveranstaltungsraum das Licht einzuschalten. Jeder relevante Lehrveranstaltungsraum muss durch Rechenzentren oder Medientechnik-Abteilungen mit fest installierter Technik ausgestattet sein, die auch für sich allein und ohne weitere Endgeräte funktioniert – aber gern damit erweitert werden kann. Jedem Raum und jeder Lehrveranstaltung muss bei der Stundenplanung durch die Hochschulverwaltung automatisch ein entsprechender Videokonferenzraum zugeordnet werden, der im Campus- bzw. Lernmanagementsystem verlinkt ist. Außerdem benötigen Lehrende regelmäßige Schulungsangebote und kurzfristig verfügbare Unterstützung durch hochschuldidaktische Supporteinrichtungen oder Lehr-Lern-Zentren bei technischen und didaktisch-methodischen Fragestellungen.

Literatur

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